642a972ca0c1f.jpg


Von Spanien nach Frankreich oder umgekehrt zu fahren ist gar nicht so einfach, besonders an der Atlantikküste. Knapp zehn Stunden dauert eine Fahrt heute noch von Madrid nach Bordeaux. So lang, dass eigentlich nur Interrailer diese Reise auf sich nehmen...


Fahrplan (Stand: März 2022)

Die DB-App schlägt hierzu eher die Fahrt über Barcelona/Figueras/Narbonne und Toulouse vor. Mit einem Umstieg kommt man auf eine kürzest mögliche Fahrzeit von 10:17h. Dabei ist aber der AVE mit 10EUR Reservierungsgebühr enthalten.

Ich möchte hier aber über die Fahrt via San Sebastian und Irun/Hendaye schreiben. Den Fahrplan via Barcelona kannst Du recht einfach hier nachschlagen


Von Madrid nach Irun fahren nur zwei Züge täglich und nur einer davon kommt in Frage:

Abfahrt Madrid-Chamartin: 0800 Uhr

Ankunft Irun: 1413 Uhr

fährt: täglich

Reservierungskosten: 6,50EUR (Zugtyp: Alvia)

Deine Reservierung kannst Du entweder über den Interrail-Service oder am DB-Schalter bekommen.

Im Idealfall werden im Sommer auch Fahrten durchgehend bis nach Hendaye angeboten. Ansonsten heißt es: laufen. (2,7km).


Von Hendaye nach Bordeaux (und weiter nach Paris) kommt man mit dem TER oder TGV.

TER Abfahrt: 1507 Uhr,

Ankunft Bordeaux: 1743 Uhr.

Reservierung: keine

fährt: Mo-Fr

oder

TGV Abfahrt: 1612 Uhr,

Ankunft Bordeaux: 1840 Uhr/ Ankunft Paris: 2101Uhr.

Reservierung: 10EUR ("eigentlich" dazu später mehr).

Fährt: täglich

bitte beachte: im TGV ist es Pflicht, ein Namensschild an Gepäckstücken zu haben


Fahrkarten

Wir sind mit Interrail gefahren. Alle Interrrailpässe findest Du hier. Dort kannst Du Dir selbst aussuchen, welcher Pass am besten zu Dir passt. Wir hatten 5 Reisetage innerhalb von 1 Monat.

Andernfalls müsstest Du Dir Einzeltickets für die beiden Züge kaufen. Das geht z. B. über Trainline. Der Fahrpreis schwankt möglicherweise recht stark. Sparpreise sollten aber oft verfügbar sein, da keine der beiden Strecken sehr nachfragestark ist.


Madrid-Chamartin

Da wir noch eine Anreise aus Villaviciosa vor uns hatten, waren wir schon 0720Uhr am Bahnhof, da wir etwas Pufferzeit hatten einplanen mussten. Aufgestanden sind wir dafür 0540 Uhr (ein lautes "Uff" an dieser Stelle...). Die Sonne war gerade aufgegangen. Als wir einen Blick auf die Abfahrtstafel warfen, erwartete uns Überraschung Nr. 1: der Zug stand nicht darauf. Zumindest nicht für acht Uhr, sondern für acht Uhr zehn. Gut ok, kein Problem, das kann sich ändern. Wundert mich zwar, denn wir waren in Spanien und sowas passiert normalerweise eher auf dem Balkan. Aufregender war Überraschung Nr. 2: auf der Zielanzeige wechselten sich Bilbao und San Sebastian ab. Dass der Zug eventuell nach Bilbao geteilt wird, war mir klar. Aber San Sebastian? Ja, da wollten wir durchfahren. Aber bitte doch weiter nach Irun. Wir wandten uns an den RENFE-Schalter direkt unter der Anzeige. Dort sagte man uns: "hay obras" (es gibt Arbeiten, im Sinne von Bauarbeiten) und wir würden wohl in Vitoria in einen Bus umsteigen müssen. Ok, kein Problem.


642a974b60036.jpg


Die nächsten Minuten gingen wir nochmal um den Bahnhof herum. Ich wollte die Baustelle für den "tunel de la risa" auskundschaften. Ein Fernverkehrstunnel, der den Umstieg in Madrid wie noch vor vier Jahren endlich abschaffen soll. Im Internet steht, dass er bis Ende April eröffnet werden soll. Hier fehlen aber noch die neuen Gleise und Bahnsteige. Bis April? Niemals. Wenn man sich anstrengt vielleicht bis Jahresende.


642a9753b469b.jpg

Bahnhof Madrid-Chamartin

642a975fd34a7.jpg

Bauarbeiten für den tunel de la risa


Wir gehen wieder ins Gebäude, es war zudem recht kalt draußen. Unser Zug fährt auf der 21 ab, das äußerste Gleis im Bahnhof. Davor müssen wir noch eine Gepäckkontrolle passieren, das ist in Spanien so üblich. Ohne Anstehen dauert das <5min.


642a978ec3a35.jpg

642a979660fc1.jpg

642a979c657e8.jpg


Endlich dürfen wir zum Zug! Unser Alvia steht nehmen einem anderen Hochgeschwindigkeitszug auf Gleis 21. Der andere sieht ein bisschen komisch aus. Wir nennen ihn "Fisch":


642a97a36cbcd.jpg

Bevor wir einsteigen, wird noch die Fahrkarte kontrolliert. Es ist interessant: das Personal interessiert nicht ausschließlich für die Reservierung. Das Interrail-Ticket, was ja eigentlich die Fahrkarte ist, will niemand sehen.

Im Zug selbst wird dann übrigens nicht mehr kontrolliert. Manche mögen das, ich eher nicht. Ich finde, die Kontrolle vorher macht es komplizierter, da man mehr Zeit einplanen muss. Immerhin: den falschen Zug zu nehmen ist in Spanien unmöglich.


642a97b1b38b2.jpg

Ticketkontrolle vor dem Einstieg in Madrid-Chamartin


Ich schaue mich nochmal gründlich am Bahnsteig um. Ich stelle fest: unser Zug fährt in Doppeltraktion – so könnte er theoretisch in Vitoria geteilt werden. Und er hat eine Höchstgeschwindigkeit von 250kmh. Der Bahnhof Chamartin sieht an diesem Morgen eher verlassen aus. Nur einen anderen Zug sehe ich beim Blick über die Bahsteige. Wolkenkratzer bekommt man noch zu Gesicht – wir sind hier in der Nähe des Neubauviertels.


642a97ba740b8.jpg

Alvia in Doppeltraktion

642a97c2c95c4.jpg

Alvia-Schnellzug der RENFE

642a97cb449de.jpgHöchstgeschwindigkeit 250km/h

642a97d3bd48f.jpg

Neubauviertel von Madrid

642a97d9e414c.jpg

Madrid-Chamartin


Teil 1: Madrid-Irun

Dann starten nach Norden. Anders als sonst hatte ich mich im Vorfeld nicht mit der Strecke beschäftigt. Verwundert bemerke ich, dass wir die Schnellfahrstrecke Madrid- Valladolid befahren. Die 250km/h werden teilweise ausgenutzt. Die Strecke ist sogar aktuell auf 300km/h zugelassen, gebaut wurde sie für 350km/h, dafür braucht es aber noch eine Genehmigung.


642a98f2cbaae.jpg

1. Klasse im Alvia der RENFE

642a990e64848.jpg

1. Klasse im Alvia der RENFE

642a9a2f311da.jpg

Steckdosen an jedem Platz

642a9a37a540e.jpg

2. Klasse im Alvia der RENFE

642a9a4931470.jpg2. Klasse im Alvia der RENFE

642a9a6516a82.jpg

es gibt ein Hygiene-Tuch an jedem Platz

642a9a6e0a4a2.jpg

alle Sitze sind zurücklehnbar


Wir befahren einen langen Tunnel. Genauer gesagt einen sehr langen Tunnel! Ich schaue nach: Es ist der Guadarrama-Tunnel unter dem Sierra de Guadarrama. Mit 28,4km der längste Tunnel Spaniens! Wow. Wir erreichen überpünktlich unseren ersten Halt in Segovia. Hier könnte man theoretisch auch vorbei fahren, bei höherer Geschwindigkeit würde sich das lohnen. Ein Blick zurück Richtung Gebirge sagt, dass dort am Mitte März noch Schnee liegt. Von wegen, Madrid ist zu warm für Olympische Winterspiele!


642a9a794cc5c.jpg

Blick in Segovia Richtung Sierra de Guadarrama

642a9a82df186.jpg

Schnellfahr-Umfahrung am Bahnhof Segovia


Wir fahren weiter. Die meisten Fotos von der Strecke sind leider unbrauchbar, da unser Alvia-Zug leider lange keine Waschanlage mehr gesehen hat und die Fenster daher dreckig sind.

Wir sind inzwischen kurz vor Valladolid. Aber wir verlassen die Schnellfahrstrecke. Aber warum? Es folgt Überraschung Nummer 3: wir durchfahren eine weiße Halle. Das dauert nur eine, allerhöchstens zwei Minuten. Es klickt ein bisschen...

Ein paar Minuten später halten wir, wieder überpünktlich, in Valladolid. Das war doch eben keine Umspuranlage, oder? Dazu muss man wissen: Spanien besaß einst eine eigene Spurweite. Die "iberische Breitspur" ist 1668mm breit, in Europa sonst sind es 1435mm Schienenbreite. Als Spanien aber begann, Hochgeschwindigkeitsstrecken zu bauen, traf man die schlaue Entscheidung, sich an die europäische Spur anzupassen. Noch schlauer ist es, dass Spanien aber Züge besitzt, die beide Spuren befahren können. Sogennante Talgos. Diese können schnell umspuren... aber doch nicht soo schnell, oder?


642a9a8e24d2a.jpg

Auf der Fahrt kurz vor Valladolid

642a9a96c8ea7.jpg

kurz vor Valladolid verlangsamen wir unsere Geschwindigkeit und fahren durch eine mysteriöse Halle...


In Valladolid überlege ich kurz, ob der Zug das Ziel hat, den alten Fahrplan (10 Minuten früher) wieder aufzuholen. Wenn er wollte, könnte er das. Will er aber nicht.

Wir verlassen Valladolid und fahren jetzt anscheinend doch auf einer alten Strecke. Neben uns sehe ich eine neue Strecke, aber nur ein Gleis. Das macht Sinn, wenn es Verzweigungen sind, ähnlich eines Autobahnkreuzes. Aber auch in den nächsten Kilometern sehe ich nur ein Gleis und eine Oberleitung. Ich wusste, dass die Schnellfahrstrecke ab Valladolid nach Burgos noch weiter geht. Aber warum befahren wir sie nicht? Und warum ist sie eingleisig - Überraschung Nummer 4? Ich gehe in den Speisewagen, wo das Personal ist. Ich wollte sowieso noch wegen des Schienenersatzverkehres fragen, da kann auch gleich den Schaffner fragen, was hier "eigentlich so los ist":)


642a9a9f8dd23.jpg

Speisewagen im Alvia der RENFE

642a9aa6c23cb.jpg

Speisewagen im Alvia der RENFE

642a9ab7c9a67.jpg

Speisewagen im Alvia der RENFE


Die Speisewagen-Dame sagt, dass es noch unklar sei, ob erst ab San Sebastian oder schon ab Vitoria SEV ist. Der Schaffner sagt, schon ab Vitoria. Ich unterhalte mich mit ihm. Ja, wir, wir haben umgespurt. In einer Minute (!) Ich bin fassungslos! In Russland habe ich das schon einmal miterleben können, aber dort dauerte das Umspuren über eine Stunde. Ich frage ihn noch, warum wir nicht über die SFS (Schnellfahrstrecke) fahren. Sie sei noch nicht fertig, stünde aber kurz vor ihrer Eröffnung. (UPDATE: Eröffnung am 21.7.2022) Und ob sie wirklich eingleisig ist? "Si, es vía unica" bestätigt er mir.


642a9abf8e0d0.jpg

eingleisige Schnellfahrstrecke kurz vor Burgos

642a9aca6b2bc.jpg

anderer Schnellzug in Burgos – ich vermute: eine Testfahrt

642a9ad461565.jpgBurgos Rosa de la Lima


"Por qué?" - frage ich. Er gibt sich leider nicht sonderlich viel Mühe, langsam zu sprechen. Ich verstehe nur so viel, dass das wohl jetzt angeblich europäischer Standard sein soll, aber das kann eigentlich nicht stimmen. Ich frage noch, ob es am Geld liegt. "vielleicht", antwortet er auf Spanisch.


642a9add0ab58.jpg

Umspurhalle kurz nach Burgos: hier wird umgespurt, sobald die SFS bis nach Burgos genutzt werden kann

642a9ae934ee4.jpg

leerer Bahndamm hinter Burgos: für einen späteren Ausbau der Strecke


Meine eigene Erklärung dazu: an der Strecke liegen außer Bilbao keine großen Städte. Langfristig ist hier eine Weiterverbindung nach Paris (Link in französisch) geplant. Ich vermute, dass das zweite Gleis erst dann gebaut wird, wenn hier richtig viel Verkehr rollt. Das lässt sich zum Glück auch recht einfach hinzufügen, da man schon so schlau war, um den Platz dafür zu lassen!

Mit bis zu 350km/h geht es dann in 6:05h von Madrid nach Paris. Und in nur 3:55h nach Bordeaux, ach, wie toll wäre das?

Wir fahren inzwischen weiter, aus Burgos heraus Richtung Norden. Seit Valladolid sind wir schon auf der iberischen Spur, ein geübtes Auge sieht das.


642a9af2ab558.jpg

wir fahren auf iberischer Breitspur


Wir fahren durch Miranda de Ebro, wo später einmal eine Schnellfahrstrecke aus Barcelona einmünden soll. Aber das dauert sicher noch...

Durch das iberische und kantabrische Gebirge geht es nach Vitoria, wo der Zug heute endet.


642a9afaab622.jpg

auf der Fahrt zwischen Burgos und Vitoria

642a9b041f3a1.jpg

Ebrobrücke in Miranda


Hier empfängt uns ein eher kleiner, aber hübscher Bahnhof. Den SEV-Bus zu finden, ist nicht schwer. Wir mussten aufpassen, den richtigen zu nehmen, da es einen nach San Seb. Gibt (Nummer 2) und einen nach Irun (Nr. 1). Es wird gerufen, dass Nr. 1 wohl nur nach Irun fährt.


642a9b0d7c647.jpg

Bahhof Vitoria-Gasteiz

642a9b16adfb3.jpg

Bahhof Vitoria-Gasteiz

642a9b2092d9d.jpg

SEV-Bus Vitoria-Irun


Auch die Fahrt im Bus ist echt spannend. Wir setzen uns zur Sicherheit ganz hinter, damit wir in Ruhe unser Mittag essen können, ohne vielleicht ermahnt oder verboten zu werden. Währenddessen druchfahren wir erst die Stadt und steigen dann immer weiter in die Ausläufer der Pyrenäen auf:


642a9b2bcb833.jpg

Fahrt mit dem Bus ab Vitoria

642a9b397c20e.jpg

642a9b428e605.jpg

Fahrt nach Irun durch die Ausläufer der Pyrenäen

642a9b4b99db0.jpg

Interessanterweise halten wir wider Erwarten doch in San Sebastian-Donostia. Wir fahren am Fluss Urumea entlang und haben einen recht positiven Eindruck von der Stadt. Danach geht es noch einmal durch die Berge, bevor wir Irun erreichen.


642a9b54abb7c.jpg

mit dem Bus in San Sebastian

642a9b5d5da70.jpg

mit dem Bus durch die Pyrenäen, im Bild Skipisten


Pünktlich im Vergleich zum neuen Fahrplan,10 min später als der alte Fahrplan kommen wir um 1423 Uhr an. Wir machen uns kurz frisch am Bahnhof (WC kostenlos) und fragen noch nach, ob es einen Bus o. Ä. gibt.


642a9b681e19a.jpg

Bahnhof Irun

642a9b71ee8f7.jpg

Bahnhof Irun


Teil 2: zu Fuß über die Grenze nach Hendaye

Die Dame am Schalter sagt, es gäbe so eine Art Straßenbahn. Nach kurzer Beratung finden wir heraus, dass diese wohl ein bis zwei Straßen weiter abfährt. Das liegt sowieso am Fußweg, also beschließen wir, dort Halt zu machen.

Google Maps sieht einen Fußweg von 2,7km in 34min vor. Gegen 1435 Uhr starten wir unsern Fußmarsch, jeder mit einem Rollkoffer.


642a9b7d59b15.jpg

der Weg laut Google Maps


Der Weg soll einfach sein, man muss nur zwei Mal abbiegen. Nach 150m kommen wir an dieser Kirche vorbei, leider geschlossen:


642a9b957e817.jpg

zu Fuß von Irun nach Hendaye


Zuerst geht man nur an den Bahnschienen entlang, dann folgt die erste Biegung, rechts in die Straße "Colon ibilbidea". Direkt hier überquert man die Bahnschienen (oder besser: das Gleisfeld).


642a9ba00e774.jpg

am Ende diese Straße rechts abbiegen über die Brücke


Die "Straßenbahn" befindet sich dann ca. 100m nach der Brücke auf der linken Seite und nennt sich "Irun-Colon". Ich habe keine Ahnung, was das mit einem "Darm" zu tun haben soll, denn colon ist lateinisch der Grimmdarm. Es ist inzwischen 1445 Uhr, wir sind 10 min zu Fuß unterwegs und betreten den "Bahnhof". Zu unserem Glück soll direkt in 3 Minuten eine Bahn nach Hendaye fahren. Gesichert ist der Zugang hier mit einem Drehkreuz, links von uns ist ein Bediensteten-Sitz hinter einer Glasscheibe, aber leer. Nur ein kleines, afrikanisch aussehendes Mädchen sitzt dort, nuckelt an einem Nuckel und kritzelt ein Bild.


642a9bac9f927.jpg

Bahnstation Irun-Colon

642a9bb5c2b2b.jpg

Bahnstation Irun-Colon

642a9bbeb2dd3.jpg

Bahnstation Irun-Colon


Kurzerhand beschließen wir, den Zug zu nehmen, schließlich haben wir ja ein paneuropäisches Interrail-Ticket. Die "Schranke" erfordert nicht einmal viel Aufwand, um sie zu überwinden. Es ist 1446 Uhr und eine halbe Minute. Ein Zug der Gegenrichtung fährt gerade am Gegengleis ein.


642a9bcb9aa48.jpg

Euskotren in Irun-Colon

642a9bd5ce040.jpg

Irun-Colon

642a9be164682.jpg

Irun-Colon


Ich schaue mich auf dem Bahnsteig um, mache ein paar Fotos. 1447 Uhr, genauer gesagt 14:47:03Uhr. Es ist spannend, beim Schreiben dieses Blogs die genaue Zeit auf den Fotos festzustellen. Denn es muss schon nach 1447 Uhr gewesen sein, als eine Dame in Dienstkleidung heruntergesprintet kommt und uns fragt, was wir machen. Wir machen einen Fehler: wir reden spanisch. "Como habeís pasado, como habeís pasado??" fragt sie immer wieder und aggressiv. ("Wie seid ihr drüber gekommen?"). Wir hätten einfach so tun sollen, als ob wir sie nicht verstünden. Sie fragt, was wir für Fahrkarten haben, ich versuche mich damit rauszureden, dass wir Interrail haben und das nur an der Schranke nicht einlesen konnten. "Interrail no vale" (Interrail gilt nicht) sagt sie. "Doch" sage ich, "vale in todo europa" sage ich. "no", sagt sie. (Das kann schon sein. Ich erinnere mich dunkel, auch irgendwo mal gehört zu haben, dass es bei diesem Unternehmen – Euskotren – nicht gilt. Ist mir aber ehrich gesagt egal, wegen 2km...). Wir einigen uns darauf, eine Fahrkarte zu kaufen, Niclas geht mit der Dame hoch. Da muss es irgendwann zwischen 1447 und 1448 Uhr gewesen sein. Der Zug fährt ein. Ich hatte die Hoffnung, die Dame hätte schon irgendwie mitgedacht....

Aber in dem Moment kehrt sie auf halber Treppe um, lässt Niclas stehen und sprintet abermals herunter, rennt zum Kopf des Zuges, redet dort mit dem Führer, (ob sie ihm sagt, dass er uns nicht mitnehmen solle?), sie dreht wieder um, ... geht in Ruhe zurück... der Zug fährt weg. Ich weiß, der nächste kommt erst in 30min...

"GUT, wir laufen dann!!!" rufe ich zu Niclas hoch. Da merkt man mal, wie entscheidend eine halbe Minute im Leben sein kann. "Ist ja mal super scheiße gelaufen!" - sind wir uns einig. Das wäre dann aber nicht colon sondern rectum, lateinisch für Mastdarm. Oder: Überraschung Nr. 5 – eine böse Überraschung. Ob das kleine Mädchen uns verpfiffen hat?

Als wir wieder oben auf der Straße stehen, fällt mir auf, dass auf der anderen Straßenseite (in unserer Laufrichtung: rechts) eine Treppe und ein Fahrstuhl-Zugang zum Bahnsteig ist.

Mein absoluter Pro-Tipp: nimm diesen, um zum Bahnsteig zu gelangen. Der wird nicht kontrolliert, es sei denn, man muss dort seine Fahrkarte einlesen, damit er fährt, aber das kann ich mir nicht vorstellen.

Nach dieser Aufregung geht es zum Glück weitaus entspannter weiter. Du folgst dieser Straße:


642a9bf148682.jpg


Danach biegst Du an diesem Eiscafé links ab, das ist das zweite Mal abbiegen. Tipp: falls Du Lust auf ein Eis hast, ist das die letzte Möglichkeit, denn in Hendaye gibt´s keins!


642a9bfbe3c54.jpg

hier nach links abbiegen


Auf dieser Straße kommt ein Kreisverkehr, denn Du geradeaus durchquerst. Hendaye ist unter "Hendaia" ausgeschildert.


642a9c07f05a0.jpg

im Hintergrund der Kreisverkehr

642a9c10ed178.jpg

642a9c1e605a3.jpg


Als nächstes folgt die Brücke über den Bidasoa und die Staatsgrenze. Hier ein Blick ins Landesinnere:


642a9c6d829cd.jpg

auf dem Fußweg zwischen Irun und Hendaye


Kurz darauf wird die Straße durch einen Nadelbaum geteilt, zum Bahnhof geht es leicht links weg:


642a9c7a7aa81.jpg

642a9c855909d.jpg

hier lang zum Bahnhof Hendaye!


Und da wären wir! Wir haben 45 Minuten gebraucht, mit Rollkoffer und einem Stop in Irun-Colon. 1520 Uhr sind wir da, zu meiner Genugtuuung genau eine Minute vor dem dämlichen Euskotren, der eine halbe Stunde später gefahren wäre. In Hendaye gibt es leider kein Eiscafé, was wir sehr bedauern. Deswegen entscheiden wir uns für ein sympatische Stück Kuchen unweit vom Bahnhof. In diesem Ort scheint es wirklich wenig (eigentlich gar nix) zu sehen zu geben.


642a9c90e2442.jpg

Bahnhof Hendaye

642a9c99de3e8.jpg

Euskotren-Station Hendaye


Teil 3: Hendaye-Bordeaux im TGV

Wäre der TER auch Wochenende gefahren, wäre das sehr knapp geworden, ihn zu erreichen. 40Min würde ich für den Fußweg schon einplanen, ohne rennen zu müssen.

Uns erwartete nun eine Fahrt im TGV, allerdings Bummelzug-Modus, da die Höchstgeschwindigkeit auf dieser Strecke unter 160km/h liegt, meistens deutlich.


642a9ca50bdb3.jpg

TGV in Hendaye

642a9cae47266.jpg

TGV in Hendaye

642a9cb7281f6.jpg

TGV in Hendaye

642a9cc15b25c.jpg

TGV in Hendaye


Und wir hatten ein typisches Interrailer-Problem: der TGV verlangt eine Reservierung. Eigentlich. Denn um ehrlich zu sein finde ich es ziemlich gemein, denn der TER, der wochentags fährt und das tw. sogar ein paar Minuten schneller, ist kostenlos im Vergleich zum TGV, der 10EUR will. Bis Paris, ok. Aber bis Bordeaux, wenn man nur als "Regionalersatz" fährt?

Aber ich wäre nicht ich, wenn ich nicht eine Idee hätte: wir fahren ohne Reservierung und stellen uns dumm! Ob das hilft? Mal sehen!

Hier also die Komödie: "Anleitung: Wie man im TGV ohne Reservierung fährt".

Schritt 1: wir nehmen die Rolle von zwei britischen Reisenden ein. Nicht zu vernachlässigen ist, dass man es in Hendaye erstmal auch schaffen muss, einfach in den TGV zu kommen, ohne nicht schon vorher kontrolliert zu werden. Bahnsteigsperren gibt es aber nicht und es interessiert sich auch niemand für alle jene, die einsteigen wollen.

Schritt 2: warten, bis der Zug fährt.

Schritt 3: wir gehen in den Speisewagen. Da wir natürlich ehrliche Reisende sind, tun wir so, als hätten wir gelesen, dass der TGV bis Bordeaux kostenfrei wäre mit Interrail, und erst weiter nach Paris eine Reservierung nötig ist. Wir wollten uns gern rückversichern, ob das stimmt und wenden uns an die Dame im Speisewagen. Dieser befindet sich zwischen 1. und 2. Klasse auf der oberen Ebene. Der TGV ist ein Doppelstockzug. Und wir machen das, was wir auch schon vor 1,5h in Irun hätten tun sollen: wir sprechen englisch! Nach einem "Bonjour" (soviel muss sein!) erklären wir uns freundlich, dass wir Interrail haben usw. und dass wir gern wissen möchten...bla bla bla. Die Dame am Thresen schaut uns schon nach den ersten Worten sichtlich überfordert an. "I dont speak english" stammelt sie. Wir wiederholen es ganz langsam und verständlich. "Ääähh, un café?" fragt sie und bietet uns auf französisch einen Kaffee an. Wir lehnen freundlich ab und wiederholen nur "question about ticket" und "reservation". Das Ganze ist deswegen so lustig, weil sowohl Niclas als auch ich ja in Wahrheit einwandfrei französisch sprechen.


642a9cd134a0a.jpg

Speisewagen im TGV-Duplex

642a9cda35c27.jpg

Speisewagen im TGV-Duplex

642a9ce45a38f.jpg

Speisewagen im TGV-Duplex


Schritt 4: Die Frau entscheidet sich dazu, einen Schaffner zu holen. Der braucht ein paar Minuten, hört sich die Sache an, versteht den Kerngedanken, aber auch nicht alles. Der Schaffner lässt keine Luft an die Reservierung ran. Er würde dann vorbei kommen und wir könnten bei ihm bezahlen, was wir zur Kenntnis nehmen. Naja, egal, wenigstens haben wir es versucht und es war lustig. Er weißt uns zwei Sitzplätze zu, von denen er auf seinem Gerät gesehen hat, dass sie bis Bordeaux frei bleiben. (Das sieht man nämlich als Fahrgast nicht). Wir nehmen auf den Sitzen Platz, die leider unten sind. Ich sitze lieber oben, da man dort einen besseren Blick hat.


642a9cee91228.jpg

TGV untere Ebene (2. Klasse)

642a9cf861dbf.jpg

TGV untere Ebene (2. Klasse)

642a9d05a6670.jpg

TGV untere Ebene (2. Klasse)

642a9d17395d2.jpg

TGV untere Ebene (2. Klasse)

642a9d20e9a55.jpg

TGV untere Ebene (1. Klasse)

642a9d2a1f812.jpg

Schritt 5: warten. Wir warten vielleicht 20min, noch kommt niemand. Da ich eigentlich keine Lust habe, unten zu sitzen, gehe ich zurück in den Speisewagen. Zurück in meiner Rolle frage ich mit meinem besten britischen Akzent, ob nicht auch oben ein Platz frei wäre, da habe man sicher einen besseren Ausblick. Der Schaffner sitzt immernoch im Speisewagen, inzwischen neben einem Kollegen. Ich verstehe, wie er seinem Kollegen erklärt, wer ich sei, was ich wollte, und was er mir erzählt hat. Er erklärt seinem Kollegen (der offenbar kein englisch spricht) auch, dass ich gerade frage, ob ich nicht oben sitzen dürfe, "pour avoir une meilleure vue". Wieder verstehe ich jedes Wort und könnte innerlich feixen! Er weißt uns zwei neue Plätze auf der oberen Ebene zu. "Mercy" bedanke ich mich auf brit-französisch. Zur Freude der Schaffner. Der Höhepunkt des Dramas!


642a9d382deb6.jpg

TGV obere Ebene (2. Klasse)

642a9d42d6fe3.jpg

TGV obere Ebene (1. Klasse)

642a9d4e81767.jpg

TGV obere Ebene (1. Klasse)

642a9d59ccd9a.jpg

TGV obere Ebene (Toilette)

642a9d681a69c.jpg

TGV obere Ebene (Gang und Treppe)


Um ehrlich zu sein, sind unsere Plätze oben auch nicht viel besser, weil wir nur ein halbes Fenster haben. Spielt aber kaum eine Rolle, denn die Fahrt ist dann doch eher langweilig. Gleich am Anfang sieht man linkerhand mal kurz den Atlantik, ansonsten ist viel Nichts und viel Wald.


VIDEO: erst in der nächsten Version von raildude.com verfügbar: 20220319_174820.mp4 auf der Fahrt von Hendaye nach Bordeaux


Schritt 6: zum zweiten Mal warten. Diesmal kommt auch einer der Schaffner zu uns, nach vielleicht 1,5Std. Fahrt. Zu diesem Zeitpunkt bin ich gerade im Zug unterwegs, um Fotos zu machen. Niclas erklärt mir, der Schaffner habe nur kurz da gestanden, auf seinem Gerät rumgetippt und dann gemeint, er käme später nocheinmal wieder. Ich treffe seinen Kollegen auf meinem Streifzug durch den Zug. Ich weiß gar nicht so recht, ob ich hin- oder wegschauen soll, entscheide mich aber für Ersteres. Ich lächle freundlich, er auch und sagt etwas nettes. Unterdessen versuche ich einen Moment abzupassen, um noch ein paar schöne Fotos vom Speisewagen zu machen, wenn gerade wenig Leute drin sind und die Thresen-Dame nicht hinschaut. Da das doch nicht mehr passieren wird und der Zug zu meiner Überraschung doch schon vor Bordeaux fast 100% voll wird, frage ich dann einfach die SNCF-Angestellte, ob ich Fotos machen dürfe. Sie erlaubt es mir freundlich. "Is it Your first time TGV?" fragt sie mit französischem Akzent. "Yes" antworte ich, leicht gelogen. Immerhin: innerhalb Frankreich stimmt es, denn alle Fahrten bisher führten nach Deutschland.

Schritt 7: Der Schaffner kommt erneut bei uns vorbei. Es bleibt spannend. Ist das das retardierende Moment im klassischen Dramenaufbau? Aber der Handlungsablauf ist der gleiche wie in Schritt 6. Er kommt, sucht in seinem Gerät und geht wieder mit den Worten, dass er erneut käme.

Inzwischen fahren wir in Bordeaux ein und zählen die Minuten runter. Um Zeit zu gewinnen, beschließe ich, dass wir uns schon ein paar Minuten eher unten an die Tür stellen.


642a9d8534e31.jpg

Einfahrt in Bordeaux


Schritt 8: Aussteigen. Freuen. Einklatschen. Sie sahen die Komödie: "Wie man im TGV ohne Reservierung fährt". Man, war das ein aufregender Tag!

Falls Du es weniger aufregend magst, ist hier der Link zur Reservierung.

Der TGV steht hier im wirklich schönen Bahnhof Bordeaux sechs Minuten herum, bevor er weiter nach Paris fährt. Ich verleihe dem Bahnhof einen Platz in meinen Top 5 Europas, gemeinsam mit Dresden, Prag, Mailand und Leipzig. Wir verlassen den Bahnsteig (dabei muss man noch eine Bahnsteigsperre durchqueren, ohne Kontrolle), dann machen wir uns auf zum Bus, um meinen Austauschschüler in Bordeaux-Talence (etwas außerhalb) zu besuchen.


642a9c3f9d9d0.jpg

TGV in Bordeaux St.-Jean

642a9c4ceb412.jpg

Bahnsteigsperren in Bordeaux

642a9c5b705bc.jpg

TGV in Bordeaux St.-Jean



Fazit

Eine wirklich aufregende Fahrt, die ihresgleichen sucht. Reisekomfort geht natürlich anders. Niclas und ich haben schon ausgemacht, in 20 Jahren mit Familie diese Strecke wieder zu fahren, wenn dann hoffentlich die Schnellfahrstrecke fertig gestellt ist (Link in französisch und spanisch).

Immerhin: mit Interrail ist es der billigste und der quasi-schnellste Weg von Madrid nach Bordeaux (und Paris).

Möchtest Du die Strecke mit Interrail fahren, kannst Du hier einen Interrail-Pass kaufen: Hier gehts zu Deinem Interrail-Abenteuer


Möchtest Du die Strecke mit normalen Fahrkarten fahren, dann kaufe sie am besten über [Trainline] (https://rail.shop/trainline ). Wenn Du rail.cc und Blogs wie diesen unterstützen willst, dann nutze am besten unsere Buchungslinks für Deinen Fahrkartenkauf. Wir bekommen eine kleine Provision, der Preis bleibt gleich! Vielen Dank:)

Möchtest Du in Madrid, Bordeaux oder Paris übernachten, dann schau am besten hier.


642a9c357844b.jpgBahnhof Bordeaux St.-Jean


Posted 1 year ago

Userpic

Tobi
Traveller
175 comments

Login to leave a comment